Die Notwendigkeit, Routinen zu wechseln

Dass Krisen keine Ausnahmeerscheinungen sind, sondern Bestandteil einer existenziellen Kontinuität, ist die eine Erkenntnis, die die Betrachtung der gegenwärtigen Verhältnisse begleiten sollte. Dass Krisen dennoch ein Verhalten und ein Vorgehen erfordern, das jeweils nicht der täglichen Routinen entspricht, erscheint nur zu logisch. Das wesentliche Erscheinungsbild einer Krise ist eine tiefgehende Wirkung, die die normale Ordnung stört. Auf eine neue Gewalt auf den Alltag mit der alten Ordnung des Alltags antworten zu wollen, wirkt hilflos. Leider, leider scheint genau dieser Reflex in diesen Tagen die Regel zu sein. Diejenigen, die die Macht haben und Verantwortung tragen, reden sehr viel von einer Überforderung, die nicht von der Hand zu weisen ist. Die Erschöpfung, von der sie sprechen, ist allerdings das Resultat des Rezeptes, dass sie sich selbst verschrieben haben: Bemühe die Routine, um das Ungewohnte zu meistern. Fatal, denn es ist eine sichere Police für das Scheitern.

Die deutsche Ordnung und mit ihr die deutsche Bürokratie sind etwas, was auch von außen betrachtet als eine große Errungenschaft erscheint. Aber, gerade im Hinblick auf die gegenwärtige Flüchtlingsbewegung, ist ein Rückgriff auf diese Ordnungsgrößen als Lösung per se zum Scheitern verurteilt, denn es kommen keine Schuhkartons oder Obstkörbe, sondern Menschen. Und diese Menschen sind keine Scharlatane, sondern erfolgreiche Migranten aus Krieg und schwierigen Bedingungen. Und wie begegnet ihnen die deutsche Ordnung? Zunächst kommen sie in Lager, deren Betreibung nach Kurzausschreibungen an Vereine oder Private vergeben werden. Diese machen so etwas nicht aus Nächstenliebe, sondern um Geld zu verdienen. Das Resultat sind oft aggressive oder verzweifelte Flüchtlinge, die nichts machen dürfen, die eingepfercht sind, denen es an vielem fehlt und die an erneute Flucht denken.

Der Vergabe von Lizenzen, bei denen sehr genau auf das Ausschreibungsverfahren, aber weniger genau auf das Leistungsverzeichnis geschaut wird, stünde die Organisation des Ganzen durch die Kommunen entgegen. Sie haben sowohl das Know-how als auch, zumindest partiell, den Willen, folgendes Szenario realisieren zu können: Den Flüchtlingen ist es erlaubt, selbst einzukaufen und zu kochen, die Essensausgabe zu organisieren und den Speiseplan zu diskutieren. Sie organisieren Freizeitaktivitäten für die Kinder und das Lernprogramm für Deutsch. Sie haben einen Sprecherrat, der schon einmal Kontakt aufnimmt zur lokalen Wirtschaft, die ihrerseits Angebote entwickelt, auch innerhalb der Lager mit Tätigkeiten beginnen zu können, die Mindesteinkommen gewährleisten. So werden sowohl Einkommen generiert als auch Geld in die lokale Wirtschaft fließt. Gewinner wären eine schnelle Integration, eine Belebung der lokalen Wirtschaft und eine daraus resultierende positivere Resonanz in der Bevölkerung. Die Krisenstäbe und die Geschäftemacher wären entmachtet, was aber keinem unbedingt schaden würde.

Es ist ein kleines, sehr kleines Denkspiel, das hier ausgebreitet wird, aber es zeigt, dass es sinnvoll ist, nicht systemimmanent mit einer Herausforderung umgehen zu wollen, die mächtiger ist als das gegenwärtig herrschende System, das von einem dichten Regelwerk durchwirkt ist. Und es helfen auch keine grundsätzlichen Debatten darüber, dass das System überfordert ist, weil die, die bereits hier sind, Flüchtlinge wie Stammbevölkerung, jetzt, hier und heute, eine Lösung brauchen, mit der sie leben können. Das werden die beiden Gruppen nur unter sich ausmachen können. Da helfen weder Konkurrenzveranstaltungen noch Verteufelungen. Die Chance, die jede Krise mit sich bringt, kann nur von denen wahrgenommen werden, die Bestandteil der Lösung sind. Die Bürokratie ist damit nicht gemeint, denn die Lösung liegt hinter deren Horizont.

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